10 Fragen mit… MADANII & LLUCID

MADANII & LLUCID (Foto: Gianna Shamone)

Mit unserer Interview-Serie »10 Fragen mit…« möchten wir euch eine Reihe von Acts aus dem diesjährigen Programm von Pop-Kultur vorstellen, die unbedingt einen Platz in euren Playlists und Herzen verdient haben. Auf SADO OPERA folgt diese Woche das Duo MADANII & LLUCID.

  1. Wie habt ihr euch kennengelernt und was war eure Motivation, miteinander Musik zu machen?

MADANII: Wir haben uns eigentlich total zufällig gefunden. Ich habe 2016 in der Uni-Facebook-Gruppe nach Tipps zu guten Kopfhörern gefragt und LLUCID hat sich gemeldet. Am nächsten Tag habe ich herumgefragt, wer Bock hat mit mir an MADANII zu arbeiten und schon wieder hat sich keine*r gemeldet außer LLUCID. Und da wir uns eh schon kannten und er ein »Sandcastles«-Beyoncé-Cover von mir auf Soundcloud gehört hatte und das ganz cool fand, haben wir das dann gemacht.

  1. Eure Musik ist stilistisch sehr abwechslungsreich und vielseitig, ihr bringt offensichtlich viele verschiedene Einflüsse mit. Was ist zwischen euch beiden Minimalkonsens – welche Künstler*innen, Alben, Songs gehen immer?

LLUCID: Gut, dass ihr fragt! Wir haben letztens erst eine Playlist mit unseren Lieblings-Tracks gemacht, die unseren Minimalkonsens ziemlich gut beschreibt. Wir nennen sie MiiLLkshake! Ich denke, grundsätzlich haben wir uns über die letzten drei bis vier Jahren musikalisch ziemlich aufeinander zubewegt. Wir haben aber natürlich beide unsere persönlichen Favoriten und Genres, aber Künstler*innen wie FKA twigs, Hiatus Kaiyote oder Col3trane finden wir schon beide ziemlich

nice!

  1. Eure Tracks sind gleichermaßen clubkompatibel, wie sie weitestgehend Pop-Strukturen folgen. Wo und in welcher Situation sollte eure Musik am besten gehört werden?

MADANII: Am besten sollten die Songs da gehört werden, wo die Hörer*innen sie gerade eben hören wollen. Das kann ja für jede*n ganz unterschiedlich sein.

  1. MADANII bringt traditionell persische Elemente in den Gesang ein, die nicht selten auch in der Musik ihre Entsprechung finden. Wieso räumt ihr diesen traditionellen Elementen dermaßen viel Platz in einem sonst sehr zeitgenössischen Sound ein?

MADANII: Eine Frage, die mich unter anderem dazu bewegt hat, mit MADANII anzufangen, war: Wieso können persische Elemente nicht auch Teil eines zeitgenössischen Sounds sein? Unser Vorhaben war von Anfang an, genau diese Elemente als gleichberechtigtes musikalisches Ausdrucksmittel zu betrachten, statt als »exotische« Fremdkörper. Popkultur ist dynamisch und kann ganz verschiedene Ausprägungen annehmen. Musikalische Elemente meiner iranischen Herkunft in unsere Musik mit einzubauen, ist für mich absolut kein Widerspruch.

  1. Für die Single »Sober« zum Beispiel arbeitet ihr mit dem Volkslied »Jāne Maryam«. Welche Funktion hat das Stück, das dem Song als Intro vorgestellt ist, für euch?

MADANII: Volkslieder sind die musikalisch prägendste Verbindung, die ich zum Iran habe. »Jāne Maryam« beispielsweise gehört den beliebtesten und bekanntesten dieser Lieder und man wird kaum Iraner*innen finden, die es nicht kennen. Als wir gerade an unserer EP »IILLEGAL ALLIIEN« geschrieben haben, habe ich an einem Abend den Anfang von »Jāne Maryam« vor mir hergesungen. Aus Spielereien mit dieser Aufnahme ist letztendlich der Song »Sober« entstanden. Es hat also nur Sinn ergeben, eben diesen Ausschnitt des Volksliedes, der die Basis für »Sober« gebildet hat, dem Song voran zu stellen.

  1. Eure Videos sind extrem aufwändig gestaltet. Warum spielt die visuelle Komponente für euch eine dermaßen große Rolle?

LLUCID: Wir lieben es, uns kreativ auszuleben und dazu gehört für uns auch immer die visuelle Ebene. Nicht nur bezogen auf die Videos, sondern auch auf Artworks, Fotos und Merch. Sie erlaubt es uns, die Aussage des jeweiligen Songs hervorzuheben, kann dem Song sogar ganz neue Facetten geben und hilft uns unsere Vision sowohl inhaltlich wie visuell an die Hörer*innen weiterzugeben. Videos sind immer extrem aufwändig zu planen und durchzuführen, vor allem als Indie-Artist mit Geldmangel. Durch sie aber lernen wir auch immer wieder neue kreative Köpfe kennen und gerade dieser Austausch macht einfach extrem Bock. Wir wurden schon mehrfach davon überrascht, wie andere Beteiligte unsere Songs teilweise interpretiert haben und was für Ideen dabei herauskamen.

  1. »WVTERWINE« verwendet christliche Ikonografie und spielt mit katholischen Praktiken, die auf den ersten Blick im Kontrast zur Musik stehen. Was war die Idee dahinter?

MADANII: »WVTERWINE« handelt generell von Machtdynamiken, denen sich bereitwillig ergeben wird. Das kann von gesamtgesellschaftlichen Strukturen bis hin zu Beziehungsdynamiken oder eben institutionalisierter Religion alles sein. Da die christliche Ikonografie in der westlichen Welt, in der wir ja primär stattfinden, am geläufigsten ist, haben wir hierin die effektivste Möglichkeit gesehen unsere Aussage visuell aufzugreifen, da auch schon in den Lyrics mit christlicher Symbolik gespielt wird. Das bildet allerdings nur eines von mehreren Elementen, welche die vorherrschenden Machtdynamiken in unserer Gesellschaft visuell darstellen sollten. Auch das damit zusammenhängende Patriarchat und unsere Abhängigkeit von Technologie wurden im Video umgesetzt.

  1. Der Titel euer Debüt-EP lautet »IILLEGAL ALLIIEN« und kann auf mehrere Arten verstanden werden. Welche Themen werden auf den Songs verhandelt?

LLUCID: Uns war bewusst, dass der Titel auf mehrere Arten verstanden werden kann und das soll er auch. Jede*r kennt Situationen, in denen er*sie sich nicht zugehörig fühlt und diese können ganz unterschiedlich aussehen. In den Songs geht es sowohl um soziale als auch um persönliche. Während »WVTERWINE« gesamtgesellschaftliche Problematiken aufgreift, geht es in unserem Song »Sober« um das Gefühl, sich selbst in dem zu verlieren, was man sich aufbürdet, sich zu überarbeiten und die Kontrolle zu verlieren.

MADANII: Gleichzeitig findet sich meine ganz konkrete Erfahrung als Mensch mit Migrationshintergrund in Deutschland aufzuwachsen sowohl inhaltlich als auch musikalisch auf der EP wieder. Die iranischen Elemente, wie um Beispiel mein Gesang auf Farsi auf dreien der sieben Tracks, können zusätzlich dazu führen dass die EP als Ganzes als »IILLEGAL ALLIIEN«, also als fremdartig und vielleicht sogar unerwünscht gewertet wird und somit als Spiegel unserer Normvorstellungen in der etwa Musikwirtschaft dient.

  1. Was können wir dieses Jahr von eurem Beitrag zu Pop-Kultur in diesem Jahr erwarten?

LLUCID: Auf jeden Fall neue Songs! Wir arbeiten gerade an unserer zweiten EP, die im September erscheinen soll und freuen uns schon darauf einige neue Stücke bei Pop-Kultur zu präsentieren.

  1. Was wünscht ihr euch für die Zukunft dieser Welt?

LLUCID: Einen bewussteren Umgang mit dieser Welt und allem, was darauf so lebt.

Das Programm von Pop-Kultur 2020 und unsere neue Website!

So schnell also wird aus dem Selbstverständlichen das Unmögliche. Festivals wie Pop-Kultur lebten von Anbeginn davon, dass bei ihnen Menschen auf engstem Raum zusammenkamen, um Musik zu erleben. Nun würde das die Gemeinschaft aber nicht stärken, sondern nur gefährden. Die Festival-Welt steht Kopf und damit auch wir.

Doch Pop-Kultur findet statt. Unter anderen Bedingungen und anders als zuvor. Weil wir das zum Glück können und weil wir die Krise nicht als Chance, sondern vielmehr als Aufgabe verstehen: Es ist an uns allen, neue Formen von Gemeinschaftlichkeit zu ermöglichen. Pop-Kultur sollte von Anfang an den Bindestrich zwischen den Perspektiven der Künstler*innen und der Gesellschaft, mit der sie sich auseinandersetzen, darstellen. In diesem Jahr kommt noch ein Punkt dazu, von dem aus wir alle neu anfangen müssen, in unserem Zuhause und zugleich auch überall sonst: www.pop-kultur.berlin.

Zwischen dem 26. und 28. August zeigen dort Künstler*innen wie 21 Downbeat, CATNAPP, Isolation Berlin, Mavi Phoenix, Preach, Noga Erez, The Düsseldorf Düsterboys oder The Notwist audio-visuelle Beiträge jeglicher Art, die pro Tag in jeweils einer großen Show zusammengeführt werden und nach deren Erstausstrahlung in voller Länge in der Mediathek auf unserer Seite abzurufen sind. Der Zugang ist selbstverständlich kostenlos und barrierearm.

Preach, Catnapp, Noga Erez, Mavi Phoenix (by Karin Salathé, Duran Levinson, R604M, bebishoota)
Preach, Catnapp, Noga Erez, Mavi Phoenix (Fotos: Karin Salathé, Duran Levinson, R604M, bebishoota)

Pop-Kultur wird im Jahr 2020 internationaler denn je zuvor. Cartel Madras, Jessy Lanza und King Khan vertreten jeweils auf sehr unterschiedliche Art und Weise Kanada, Wanlov the Kubolor vom Duo FOKN Bois nimmt uns mit auf einen Stadtspaziergang durch die ghanaische Hauptstadt Accra, die Südafrikanerin Yugen Blakrok zeigt uns ihre Farm in Spanien und Jojo Abot betreibt von Los Angeles aus Ahn*innenkunde. Das belarussische Duo Super Besse zweiteilt sich sogar und spielt gemeinsam von Berlin und Minsk aus ihre Lieder, während Mpho Sebina und S.Fidelity sowie Echo und Tellavision an internationalen Residenzprogrammen zwischen Botswana beziehungsweise Israel und Deutschland teilnehmen. Auch die regionalen Perspektiven aus Berlin werden global repräsentiert: Zwei Ausgaben von Pop-Kultur lokal finden in diesem Jahr ebenfalls online statt.

Ihr merkt: Es wird bei Pop-Kultur 2020 viele neue Formate zu erleben geben, die über das bisher Bekannte hinausgehen, sich mehr trauen und wagen, als es vorher nötig war. Und auf Musik allein beschränken wir uns traditioneller Weise sowieso nicht. Zu unseren Fanfaren sowie den interdisziplinär angelegten Commissioned Works, zu denen in diesem Jahr auch Chikiss und hackedepicciotto beitragen, gesellen sich in unseren Social-Media-Kanälen und auf unserer Website Beiträge von Galouchë Galore und Jammerpunk und eine ausgiebige Interview-Reihe namens »10 Fragen mit…«, die diese Woche mit SADO OPERA ihren Auftakt nimmt. Schon vor dem eigentlichen Festival also läuft bei Pop-Kultur die Auseinandersetzung mit Pop und Kultur auf Hochtouren.

Denn wann immer wir uns mit Kultur beschäftigen, stellen wir auch Fragen nach der Beschaffenheit und den Potenzialen unserer Gesellschaft. Jeweils von Leyla Yenirce, Pamela Owusu-Brenyah und Yeşim Duman kuratierte Gesprächsrunden reflektieren das im wahrsten Sinne des Wortes gesprochen. Geredet werden muss schließlich jetzt noch dringender als zuvor. Denn die Welt ändert sich zwar aktuell immer noch rasant, sie soll es doch bitte nicht alleine tun. Wir kennen da ein paar Leute, die dazu einiges beizutragen haben.

Sie sollten es unbedingt tun können, und zwar vom 26. bis 28. August bei Pop-Kultur. In diesem Jahr nicht nur in Berlin, sondern überall – auf www.pop-kultur.berlin. Sehen wir uns dort?

Pop-Kultur 2020 / 26.08.20 - 28.08.20

Pop-Kultur 2020
26.-28. August, happening online.

SESSIONS 24/7 Diva Heaven / Eat Lipstick / Isolation Berlin / MADANII & LLUCID / Mavi Phoenix / The Düsseldorf Düsterboys / The Notwist COMMISSIONED WORKS CATNAPP presents »DAMAGE Experience« / Chikiss presents »Silent Cinema in Modern Sound« / hackedepicciotto remixed / King Khan: »Rat-Tribution Now« / Preach: »Fathoeburger« COMMISSIONED WORKS DIGITAL Galouchë Galore / Jammerpunk / Pop-Kultur Fanfaren DIGITAL WORKS 21 Downbeat / Cartel Madras / Eden Derso / Evija Vēbere / Hendrik Otremba / Jessy Lanza / Jojo Abot / Mueran Humanos / Noga Erez / SADO OPERA / Super Besse / Theodora / Wanlov The Kubolor (FOKN Bois) / Yugen Blakrok TALK »DO IT YOURSELF: African Music Festivals«: Elena Schulz-Görner, Jumoke Adeyanju, Pamela Owusu-Brenyah, Wale Davies / »Ping Pong Hayat and the Art of Staying Alive«: Joana Tischkau, Reyhan Şahin, Ronya Othmann, Yeşim Duman / »Speaking of Sampling«: Azadê Peşmen, Enis Maci, Jesseline Sarkodie, Leyla Yenirce FILM »Contradict. Ideas for a New World« DIGITAL RESIDENCIES Goethe Residency: Mpho Sebina & S. Fidelity / Digital Residency Tel Aviv-Berlin: Tellavision & Echo

10 Fragen mit… SADO OPERA

SADO OPERA (Foto: Anastasia Shamray)

Mit unserer Interview-Serie »10 Fragen mit…« möchten wir euch eine Reihe von Acts aus dem diesjährigen Programm von Pop-Kultur vorstellen, die unbedingt einen Platz in euren Playlists und Herzen verdient haben. Den Anfang macht die Berliner Band SADO OPERA.

  1. Wenn ihr die Philosophie hinter SADO OPERA in nur einem Satz zusammenfassen müsstet, was würdet ihr sagen?

Eine Musikjournalistin hat es einmal so ausgedrückt: »für SADO OPERA kann – und muss! – ernster politischer Aktivismus mit ernsthaftem Spaß koexistieren«. Das können wir nur unterschreiben!

  1. Die Kernmitglieder von SADO OPERA sind der Colonel und Katya, ursprünglich kommt ihr aus St. Petersburg. Wann und wie wurde die Band gegründet?

Wir waren schon lange an zahlreichen Musik- und Kunstprojekten in St. Peterburg beteiligt, bevor wir uns dazu entschlossen, ein paar gleichgesinnte Menschen zu versammeln und genau das an den Start zu bringen, was uns in der Stadt und vielleicht Russland im Allgemeinen fehlte. Auf unsere erste Tour gingen wir vor zehn Jahren. Stellt euch Russland im Jahr 2010 und uns auf der Bühne vor – eine Punkband mit Make-Up, Strumpfhosen, Miniröcken und manchmal sogar nackt! Es war eine Kombination aus Live-Show und Kabarett mit vielen bunten Nummern, die mit Songs zusammengebracht wurden, die sich über Homophobie, Militarismus und Misogynie lustig machten. Drag Queens mit Gitarren, Synthesizer, eine Drummerin im Bikini, die schnelle Rhythmen trommelte und manchmal Dildos als Drumsticks benutzt. Das muss unser russischer Queercore gewesen sein. Im Underground waren wir erfolgreich und spielten mehr und mehr in St. Petersburg, Moskau und anderen russischen Städten. Wo wir herkommen, ist Akzeptanz nicht Teil unserer Realität. Jede*r kann in jedem Moment von der Polizei aufgehalten und ausgeraubt werden. Und leider wird selbst Schulkindern erzählt, dass es sich bei Queerness um eine Krankheit handle. Der Hintergrund und die Atmosphäre waren dementsprechend intensiv. Das Publikum nahm uns aber in der Regel gut auf. Viele waren bei unseren Shows total aufgedreht, weil sie eine kollektive Realitätsflucht anboten.

  1. Ihr seid seit Jahren in der Berliner Szene aktiv. Was hat euch in die Bundeshauptstadt gezogen?

Berlin war schon immer ein Traum für uns. Wir waren immer gerne zu Besuch und konnten es jedes Mal nicht abwarten, wieder dorthin zurückzukehren. Und dann spielten wir im Jahr 2011 unseren ersten Gig im berüchtigten Club Salon zur Wilden Renate. Das war definitiv ein gegenseitiger »Liebe auf den ersten Blick«-Moment, der sich zu einer wilden Affäre mauserte, als wir wieder und wieder dorthin eingeladen wurden. Als wir mehr und mehr in Berlin spielten, erlaubte uns das, Tourneen durch Europa um unsere Aufenthalte herum zu organisieren. So kam es, dass wir nach und nach immer mehr Zeit auf dieser Zeit der Grenze verbrachten. Wir fingen außerdem an, mit anderen Berliner Acts gemeinsam Musik zu machen.  Da wir soviel in der Stadt zu tun hatten, zogen wir im Jahr 2014 herüber. Berlin hat sich immer schon wie ein Zuhause angefühlt. »This must be the place«, wie es bei den Talking Heads heißt.

  1. SADO OPERA ist die Resident-Hausband des Salons zur Wilden Renate. Was genau beinhaltet das?

Das Aufeinandertreffen mit der Wilden Renate ist ehrlich gesagt eine der besten Sachen, die uns je zugestoßen ist. Persönlich ebenso wie professionell. Wir selbst, genauso wie unsere Show, entwickelten uns parallel zu den Transformationen, die der Club durchlief. Wir haben in den vergangenen Jahre eine Menge miteinander ausprobiert. Als der Konzertraum des Clubs zu einem großen Techno-Floor umgebaut wurde, konzentrierten wir uns auf die Kuration einer der anderen Floors – den Absinthe Room. Der Colonel schmeißt dort zwei Mal im Monat seine Love-Radio-Shows und Katya ist bei besonderen Anlässen die Gastgeberin des Floors, beispielsweise am Club-Geburtstag oder zu Neujahr, wenn die Party Tage (und Nächte) andauert. Wir bemühen uns auch, queere Künstler*innen aus Russland dorthin einzuladen. Wir glauben, dass der Brückenschlag von der russischen Community hin zur internationalen Szene sehr wichtig ist. Katya ist hauptsächlich dafür verantwortlich, das ist ihr kink! Und natürlich danken wir der Wilden Renate für ihre Unterstützung.

  1. Eure Live-Auftritte stellen offensichtlich die größte Säule des SADO-OPERA-Universums dar. Was ist das Konzept hinter euren extravaganten Live-Shows?

Wir liiiiieben es einfach, auf Tour zu gehen und live zu spielen. Das ist wahrscheinlich unsere liebste künstlerische Praxis – auf der Bühne zu stehen und diese Momente mit den Menschen zu teilen. Und es ist uns damit sehr ernst. Abgesehen von Konzertvenues und Popfestivals spielen wir auch in vielen Techno-Clubs und auf großen Events für elektronische Musik. Unsere Musik ist eine Mischung aus Disco, House, Funk und Electro. Und wir reden viel von Inklusion, Freiheit, Sichtbarkeit und Sexualität. Was einer Definition wohl am nächsten käme ist, wenn wir es als fluid bezeichnen. Ein Techno-Wunderland und Disco-Märchen. Wir sind eine queere Band, die in Make-Up und Kostümen auftritt. Die visuelle Komponente ist für uns also genauso wichtig wie die Musikproduktion.

  1. Ihr standet bekanntermaßen mal mit Conan O’Brien auf der Bühne, als der in Berlin ein Feature über die Stadt drehte. Mal ehrlich: Wie groß sind seine Chancen, eines Tages ein Vollzeitmitglied von SADO OPERA zu werden?

Na ja, jede*r ist dazu eingeladen, ein potenzielles »Vollzeit-« oder »One-Night-Stand-«Mitglied der Show zu werden. Wir lieben es, mit anderen zusammenzuarbeiten und sind immer offen für Neues. Falls ihr, die ihr das lest, jetzt den Drang verspürt – schreibt uns einfach! Conan O’Brien zu treffen war tatsächlich eine interessante Erfahrung. Die Einladung, in seiner Show aufzutreten, war für uns sehr aufregend. Er ist sehr berühmt, für uns aber war es wichtiger, dass er eine liebenswerte Person war. Mit ihm zu spielen, hat Spaß gemacht, und mit ihm zu reden genauso. Wir überraschten ihn mit unserer Sexualität und er uns, indem er uns auf der Bühne begleitete und sich voll in ein SADO-OPERA-Mitglied verwandelte. Als Conan und der Colonel unseren Song »Kissing The Gay Guy« vor ausverkaufter Hütte und den großen amerikanischen Kameras sangen, kamen sie sich sehr, sehr nahe. Seitdem sind seine Chancen groß.

  1. Spaß beiseite: Die COVID-19-Pandemie machte es für Pop-Kultur notwendig, sich neu zu entwerfen. Euer Beitrag wird nun auch anders als zuvor geplant. Könnt ihr uns schon erzählen, was wir davon zu erwarten haben?

Was auch immer wir an dieser Stelle darüber sagen könnten, wie uns die Pandemie in allen möglichen persönlichen und beruflichen Arten und Weisen beeinträchtigt hat, würde trivial klingen. Uns ist klar, dass wir alle in einem Boot sitzen. Es handelt sich definitiv um eine herausfordernde Erfahrung und der erste Teil der Reise war für einige der Bandmitglieder sehr emotional und dramatisch, da sie eine ziemlich harte Zeit durchliefen. Die anderen sublimierten es im Studio und steckten die ganze Energie von Verzweiflung und Hoffnung in unsere Synthies und Maschinen, um neues Material aufzunehmen. Doch allen aus der SADO-Familie fällt es schwer, nicht live für die Menschen spielen zu können. Wir lieben es zu touren und vermissen es ständig, auf der Bühne zu stehen. Andererseits, um es positiv zu wenden: Wir versuchen über all das als kreative Herausforderung für uns Künstler*innen nachzudenken, herauszufinden, wie wir denselben (oder doch einen ganz anderen?) Vibe und die Energie zwischenmenschlicher Verbindungen aufkommen lassen können, während wir physisch voneinander getrennt sind und nur der Screen uns verbindet.  Was, wenn der Bildschirm bislang von uns Live-Performer*innen unerforschte und vernachlässigte Potenziale birgt? Und was, wenn das Publikum dazu eingeladen wird, mit uns auf die Bühne zu treten und einen genaueren Blick in die Welt von SADO OPERA werfen zu können? Was, wenn wir am Ende alle die Schuld gemeinsam schultern, »Share the Blame«?

  1. Wo wir schon dabei sind: Eure letzte Single »Share the Blame« leiht sich ihren Namen vom berüchtigten Club Ficken3000, wo ihr eine monatliche Partyreihe organisiert, doch nennt ihr genauso Dantes »Göttliche Komödie« als eine Referenz. Worum geht es in dem Stück?

»Share the Blame« erzählt die Geschichte von Dantes Disco-Inferno: Vergil hat ein +1 für das Ficken3000 und losgelöste Liebende frönen ihren fleischlichem Verlangen – verdammt seien die ewigen Nachwirkungen! Das Ficken3000 hätte ursprünglich im April seinen 22. Geburtstag gefeiert und hatten eine große Release-Show geplant. Leider wurde natürlich alles abgesagt. In der Zwischenzeit haben wir uns selbst isoliert, die EP angehört und all die Darkroom- und Dancefloor-Momente im Club genauso Revue passieren lassen wie all die echten Geschichten, die das Stück inspiriert haben. Der Sound liegt in der Mitte zwischen elektronischem Disco und House. Und wir haben erneut unsere Lieblings-Synthesizer aus den frühen Achtzigern verwendet, darunter ein Roland Juno-60 und ein Korg Poly-61. Der Song wird begleitet von Remixen von Jarle Bråthen und Johannes Albert, der Resident-DJ in der Wilden Renate ist.

  1. Ihr wart in letzter Zeit allgemein im Studio sehr aktiv. Wie gestaltet sich euer Arbeitsprozess? Sind alle Mitglieder gleichermaßen beteiligt oder teilt das Kernduo das Songwriting unter sich auf?

Um ganz ehrlich zu sein: Was wir auf der Bühne treiben und worüber wir in unseren Songs singen, ist ein Spiegelbild unseres echten Lebens. Oftmals scheint das, was in einer Kultur als schockierend aufgefasst wird, in der anderen die absolute Norm zu sein. Sexuelle Energie und freiheitliche Sexualität sind für uns sehr wichtig. Zumeist sind wir vier oder fünf Menschen auf der Bühne. Es gibt noch andere Menschen, die nicht mit uns dort oben stehen, die wir aber dennoch als vollwertige Mitglieder betrachten. Je mehr wir mit unseren Auftritten die Welt bereisen, desto mehr Geschwister und Liebhaber*innen treffen wir. Das ist unsere SADO-Familie. Was unsere Studioarbeit anbelangt, so werden dafür überwiegend unser Drummer Icky, der Colonel und Katya eingespannt. Dieser flotte Dreier liefert die frisch geborenen Tracks aus. Manchmal stößt noch jemand anderes dazu. Wir bezeichnen das als Kollaboration… So wie mit der französischen Band dOP auf »In The Dark«, dem deutschen Produzenten Noema für den »Bathroom Song« und »Imaginarium« oder dem Norweger Jarle Bråthen und Johannes Albert aus Lichtenberg, die die Remixe für unsere Single »Share The Blame« beigesteuert haben. Es gibt da noch ein paar andere Leute, die lieber anonym bleiben möchten.

  1. Was wünscht ihr euch für die Zukunft dieser Welt?

Was lässt sich der Welt schon anderes wünschen als Liebe, Gerechtigkeit und Gleichberechtigung! Im Allgemeinen ist eines unserer Hauptziele, Wege zu finden, um uns von Definitionen und Grenzen aller Art freizumachen. Wir wünschen uns für die Gegenwart genauso wie für die Zukunft, dass wir das weiterhin tun und uns zwischendurch daran erinnern können, dass diese Herausforderung auch mit jeder Menge Spiel und Spaß einhergeht. Wir wünschten auch, dass mehr und mehr Menschen die Möglichkeit bekommen, sich zu vereinen und miteinander zu arbeiten. Wir sind offen für Kollaborationen und freuen uns immer darauf, neue Kolleg*innen zu treffen. Manche von ihnen werden zu Familienmitgliedern. Wir glauben fest an die Macht der selbsterwählten Familie. Zum Beispiel haben wir vor nicht allzu langer ein kollaboratives Projekt umgesetzt. Es ist ein Video für unseren Song »Patriarchs«. Das war eine sehr interessante Erfahrung für uns. Wir haben einfach auf Instagram einen Aufruf gestartet und so jede Menge fantastischer Künstler*innen gefunden! Es war sehr spannend für uns, zu sehen, wie Social Media – die ja auch ein Übel sein können – dazu dienen, Menschen mit ganz verschiedenen Hintergründen von überall her zusammenzubringen. Und wie es möglich wird, miteinander in Kontakt zu treten und zusammenzuarbeiten. Ein weiteres tolles Beispiel ist für uns die erste russische Online-Prida-Parade, die vom queeren russischen Magazin O-zine ins Leben gerufen wurde. Es ist eine interessante, mutige und lang erwartete Lösung angesichts der Einschränkungen in Russland, die nicht nur der Pandemie, sondern auch der notorischen »Schwulen-Propaganda«-Gesetze des Landes wegen bestehen. Obwohl die russische Pride in den Straßen verboten ist, findet sich die Community nun online zusammen.